Experte fordert mehr Nachhaltigkeit in der Bootsindustrie
Bootsexperte aus der britischen Bootsindustrie
David Lewin ist seit 40 Jahren in unterschiedlichen Bereichen der Bootsindustrie tätig. So war er unter anderem Präsident des britischen Handelsverbands für die britische Freizeit-, Superyacht- und kleine gewerbliche Schifffahrtsindustrie, British Marine, stellvertretender Vorsitzender der National Boat Shows, stellvertretender Vorsitzender der ICOMIA, dem gemeinnützigen internationalen Handelsverband, der nationale Verbände der Freizeitschifffahrtsindustrie und Ratsmitglied der Royal Yachtig Association (RYA), dem Dachverband für den britischen Bootsport.
Ideen statt Ausreden

Lewin fordert in seinem Beitrag auf der Website der Marine Industry News die Hersteller auf, aufzuhören, sich in Sachen Nachhaltigkeit weiterhin auf – seiner Ansicht nach lahme – Ausreden zurückzuziehen, um umweltschädliche Produkte anzubieten. Die Aussage „Man würde nur das produzieren und bauen, was der Kunde wünscht“, könne angesichts globaler Herausforderungen bei Klima- und Umweltschutz nicht mehr das alleinige Leitmotiv der Produktentwicklung sein.

In der heutigen Gesellschaft werde Bootfahren oft als elitär und luxuriös angesehen, und in gewisser Weise sei es das auch, so Lewin. Die Kosten für den Besitz und Betrieb von Booten, so auch von Motoryachten der Mittelklasse, seien beträchtlich. „Doch in einer Zeit, in der wir uns mit den Auswirkungen des Klimawandels und der Notwendigkeit, unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren, konfrontiert sehen, ist es an der Zeit, unsere Einstellung gegenüber dieser Freizeitaktivität zu überdenken“, gibt Lewin zu bedenken und spricht damit einen sensiblen Aspekt des Bootsports an.
Superyachten im Fokus

Die Superyachtbranche stünde bereits im Rampenlicht und sei sich bewusst, dass sie ihren Beitrag zur Reduzierung der Umweltauswirkungen leisten muss, so der Bootsbau-Experte. Es wurden bereits einige Schritte unternommen, und die Forschung und Entwicklung von nachhaltigen Lösungen schreitet voran. Dennoch sei es notwendig, sich verstärkt auch auf das mittlere Segment der Boote konzentrieren, so Lewin.
Automobilindustrie als Vorbild
Lewin konstatiert: „Während wir in anderen Bereichen wie der Automobilindustrie bereits Fortschritte bei Elektroautos, Wasserstoffproduktion und erneuerbaren Energien gemacht haben, scheint dieses Ethos im Bereich des Freizeitbootfahrens verloren zu gehen. Dort werden oft Boote mit überdimensionierten Motoren und ineffizienten Rumpfformen gefordert, die letztendlich mehr Energie verschwenden als benötigt wird.“ Es sei daher an der Zeit, das Argument “Wir produzieren nur, was der Kunde will“, nicht länger gelten zu lassen, da es unverantwortlich sei, auf Kosten der Umwelt und der Zukunft unseres Planeten den Wünschen nach immer mehr Leistung nachzugeben.


Effizienz statt Leistung
Dabei geht es Lewin nicht nur um das Thema Motorleistung, er nimmt auch bestimmte Bootsdesigns und Konstruktionen aufs Korn: „Im Bereich der größeren Motoryachten gibt es Unternehmen, die Boote mit größtmöglichem Innenvolumen produzieren, die auch noch hohe Geschwindigkeiten erreichen sollen. Diese Art von Konstruktionen führt oft zu ineffizienten Rumpfformen, die mehr Treibstoff verbrauchen, als wirklich notwendig wäre.” Auch das Seeverhalten solcher Yachten unter raueren Bedingungen sei nicht immer optimal. Und auch die Verwendung von GFK-Materialien für den Bootsbau, die nicht recycelt werden können sowie z.T. altmodische und umweltschädliche Produktionsmethoden prangert Lewin an.
Vorschläge und Anreize für effizientere Konstruktionen
Es sei an der Zeit, ein Umdenken zu fördern. Boote sollten so konstruiert werden, dass sie effizient und umweltfreundlich sind. Es sei nicht immer notwendig, Höchstgeschwindigkeiten zu erreichen, insbesondere dann, wenn die Boote die meiste Zeit vor Anker liegen oder in Gebieten mit Geschwindigkeitsbegrenzungen unterwegs sind.

Lewin regt eine verbindliche Energieeffizienzkennzeichnung für Boote an, an der der Boots-Interessierte schon beim Kauf erkennen kann, wie effizient das Boot ist. Diese Kennzeichnung sollte den Kraftstoffverbrauch und die CO2-Emissionen bei verschiedenen Geschwindigkeiten angeben und auch die Effizienz der Energieversorgung an Bord berücksichtigen, wie beispielsweise die Nutzung von Solarenergie für die Bordstromversorgung. Ein wichtiger Schritt wäre zudem die Förderung effizienterer Rumpfdesigns z.B. durch die Verwendung der Formel Länge x Breite als Kriterium für Liegeplatzgebühren in Yachthäfen. Außerdem sollte die Definition von Superyachten über die reine Länge von 24 Metern hinausgehen und stattdessen eine Verdrängungsregel eingeführt werden.
Auf den ersten Blick für Motorbootfahrer vielleicht eher kurios, aber zumindest für seegehende Kreuzeryachten durchaus eine Überlegung wert: Auch den etwas aus der Mode gekommenen Motorsegler bringt Lewin in seinem Beitrag wieder ins Gespräch, da es hier bei entsprechenden Bedingungen möglich sei, durch die zeitweise alleinige oder unterstützende Verwendung der Segel, Brennstoff einzusparen.
Vorreiter in der Bootsbranche

Allerdings gibt es durchaus Vorreiter in der Bootsbranche, die die Herausforderungen erkannt haben, und bereits reagieren bzw. die mit neuen Modellen tun wollen. So hat die Beneteau-Gruppe, das Thema sowohl bei der Produktion ihrer Boote als auch bei der Elektrifizierung und Ausrichtung auf Nachhaltigkeitsaspekte bei der Marke Delphia aber auch den anderen Marken bereits verstärkt konzernweit in den Fokus und auf die Agenda gesetzt. Gemeinsam mit dem schwedischen Motorenhersteller Volvo Penta wurde erst kürzlich ein Hybrid-Antriebskonzept für zukünftige Yachten vorgestellt, das mittelfristig marktreif sein soll.

Die schwedische Nimbus-Group bietet das Modell 305 in seinen Versionen als Coupé und Drophead, dessen Rumpf in Bezug auf Hydrodynamik und Effizienz optimiert wurde, alternativ mit vollelektrischem Antrieb an. Für das neue Modell Nimbus 465 Coupé, dessen Vorstellung Anfang 2024 erwartet wird, wurde auf der Pressekonferenz auf der boot Düsseldorf 2023 bereits angekündigt, sie auch in einer zukünftigen Langstreckenversion anzubieten. Hier wird ein längerer Rumpf für geringere Geschwindigkeiten, minimierten Energieverbrauch und damit maximale Reichweite optimiert. In dieser Version wird die Antriebslösung aus einem vollelektrischen Serien-Hybridantrieb mit einem Generator als Range-Extender bestehen.

Die bisher eher für schnelle und hochmotorisierte Boote bekannte finnische Marke Axopar hat das Thema effizientes Rumpfdesign ohnehin in der konstruktiven DNA der Rümpfe verankert. Daher war für die Finnen der Schritt, mit der Axopar 25 Electric auch ein Modell anbieten, das mit einem leistungsfähigen E-Antrieb am Heck gute Reichweiten auch in schneller Gleitfahrt erreichen kann, nicht mehr weit. Der Prototyp wurde schon zur Messe in Cannes 2022 vorgestellt, das Modell soll zum Jahr 2024 ausgeliefert werden können.

Seit vielen Jahren am Markt und entscheidender Trendsetter bei der Elektrifizierung von Booten ist auch der zur Deutz Gruppe gehörende deutsche E-Motorenhersteller Torqeedo, dessen Antriebe sowohl im kommerziellen als auch im Freizeitbereich Verwendung finden.
Der US-amerikanische Motorenhersteller Mercury Marine setzt bei der Produktion der Motoren verstärkt auf Solarenergie zur Stromgewinnung und auf recyceltes Aluminium beim Bau der Motoren, zudem wurde in diesem Jahr die neue elektrische Produktlinie “Avator” vorgestellt und wird mit ersten Modellen auf den Markt gebracht. Ein leistungsstarkes Hochvoltaggregat ist in der Entwicklung und derzeit in der Versuchsphase.

Und auch die anderen Hersteller von Außenbordern wie z.B. Honda, Yamaha oder Suzuki forschen und entwickeln an elektrisch oder mit alternativen Kraftstoffen angetriebenen Motoren. Charterunternehmen im Binnenbereich setzen verstärkt auf elektrische Antriebe, die zudem europaweit immer stärker nachgefragt werden. Im Bootsbau sind unterdessen recyclebare Epoxidharze am Markt sowie Verstärkungsfasern aus Naturmaterialien, die vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft zur Lösung der Probleme bei der Entsorgung von GFK-Altbooten beitragen könnten.
Umdenken erforderlich
Es sei an der Zeit, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein effizientes Boot genauso erstrebenswert ist, wie ein schnelles Boot, so David Lewin. Die Industrie und die Bootseigner sollten sich darauf einstellen und erkennen, dass umweltfreundliches Bootfahren eine soziale Verantwortung des Wassersports ist.

Zudem gibt Lewin zu bedenken, dass ein entsprechendes Umdenken hier auch im höchst eigenen Interesse der Bootsbranche und der Bootsfahrer sei, um nicht später Opfer von Restriktionen und Verboten zu werden.: „Wenn wir nicht selbst aktiv werden, könnten wir uns dem Druck einer künftiger populistischer Regierungen ausgesetzt sehen, die zusätzliche Einnahmen oder Gesetze durchsetzen möchte, um den negativen Auswirkungen des Bootfahrens entgegenzuwirken.“ Daher sei es an der Zeit, das elitäre Etikett abzulegen und stattdessen eine Ära des umweltbewussten und nachhaltigen Bootfahrens einzuleiten. „Wir haben die Möglichkeit, diese Veränderung herbeizuführen und somit zu einer positiven Zukunft für unsere Gewässer und unseren Planeten beizutragen. Lasst uns handeln, bevor es zu spät ist“, so der britische Bootsexperte.