Fahrbericht:

Test Mercury Verado V10 – erster Praxistest!

15 Boote verschiedener Marken aus der Brunswick-Gruppe hatte Mercury mit den neuen Verado V10 mit Einzel-, Doppel- und sogar mit Vierfachinstallation ausgestattet und für erste ausgiebige Probefahrten im sagenumwobenen Mercury-Testcenter am Lake X im Sunshine-State Florida bei Orlando für die internationale Fachpresse zur Verfügung gestellt. Als einziges Deutsches Printmagazin war das MotorBoot Magazin vor Ort.

Ich bin gespannt – immerhin waren die Aussagen von Mercury Präsident Chris Drees in Bezug auf die Leistungsfähigkeit des neuen Aggregats bei der offiziellen, feierlichen Enthüllung und Präsentation am Vorabend durchaus selbstbewusst was Laufkultur, Drehmoment, Brennstoffeffizienz und Geräuschemission angeht. Worte wie „Benchmark“, „class-leading“ und „Revolution“ wecken Erwartungen, die tunlichst nicht enttäuscht werden sollten, wenn die internationale Fachpresse mit dem Produkt an den Start geht. Und klar ist: Der Hersteller hat in den vergangenen Jahren mächtig Gas gegeben und seine Position am Markt sowohl in Punkto Markenpräsenz als auch technologisch ausgebaut.

Foto: Mercury Marine

Mit 350 bzw. 400 PS reiht sich das neue V10 Verado-Modell mit 5,7 Liter Hubraum perfekt in die Phalanx anspruchsvoller, großer Motoren des Herstellers ein, die jetzt vom 3,4 Liter V6 mit Motorleistungen von 175 bis 225 PS, über die 4,6 Liter V8 Motoren mit 250 und 300 PS, besagten V10 bis zum mächtigen, 7,6 Liter und 600 PS leistenden Verado V12 alles beinhaltet, was moderner Marine-Motorenbau im Bereich der Benzin-Verbrenner in der Lage ist, zu leisten.

Monterey 275 SS

Foto: Monterey Boats

Die Auswahl am Lake X an Booten ist groß und auch mit Mehrfachmotorisierungen wird geprotzt. Ich entscheide mich aber dafür, den neuen Motor erst einmal sozusagen „pur“ zu erfahren und gehe an Bord einer offenen Monterey 275 SS, die mit einem Mercury Verado V10 in der Leistungsklasse 400 PS bewaffnet ist. Nach wenigen Metern durch die schmale Ausfahrt des Anlegers ist der große Lake X erreicht, der als Testareal des Herstellers dient. Im Standgas und in Verdrängerfahrt säuselt der V10 am Heck und ist kaum hörbar. Wasser-, und Windgeräusche dominieren das Soundkonzert.

Mit sanftem Druck am Fahrhebel gibt unser Skipper dem Boot die Zügel frei und das Boot beschleunigt linear auf ca. 4000 U/min und bummelig 27 Knoten Cruising Speed. Der Brennstoffverbrauch liegt lt. den Performance Daten, die uns vom Hersteller zur Verfügung gestellt werden, bei gut 12 Gallonen pro Stunde, was umgerechnet knapp 46 Liter pro Stunde oder gut 1,66 Liter pro nautische Meile bzw. knapp 0,9 Liter pro Kilometer entspricht. Das deckt sich mit den Bordanzeigen, auch wenn ich später alles von den US-amerikanischen Einheiten Mile per hour (mph) und Gallon per hour (Gph) erst einmal ins metrische System umrechnen muss.

Danach zeigt sich: Die Werte sind für einen 400er V10 wahrlich nicht schlecht! Die Brennstoffeffizienz sei einer der großen Vorteile des neuen Aggregats, so der Skipper unseres Bootes. Im Bereich von 4000 bis 4500 U/min liegt die ökonomische Fahrstufe des Antriebs für die Gleitfahrt. 32,5 Knoten (60,3 km/h) liegen bei 4500 U/min an, der Spritverbrauch steigt moderat auf knapp 1,8 Liter pro nautische Meile bzw. 0,96 Liter/ km. Mit 52 Knoten bzw. 96 km/h knackt die Monterey locker die 50 Knoten Marke als Höchstgeschwindigkeit.

Beindruckend kultivierter Motorlauf

Mercury Verado V10 am Heck der Monterey 275 SS (Foto: C. Schneider)

Wer in der Drehzahlmitte den Fahrhebel forsch nach vorne schiebt, erfährt nochmal mächtig Druck im Kreuz, wenn die zehn Zylinder im Heck ihre Macht aus 5,7 Litern Hubraum ausspielen und die Fuhre in den Zenit des Drehzahlbereiches schieben. Was sich am Fahrstand eher bullig, aber nicht rabiat anfühlt, wird hingegen im Zahlenwerk druckvoll untermauert: 8,5 Sekunden benötigt die Monterey für den Sprint aus der Ruheposition auf 26 Knoten Reisegeschwindigkeit. Beeindruckend ist, wie sanft, aber spontan, und gleichzeitig bestens kontrollierbar der Motor am Gas hängt und dabei selbst mit offener Auspuffklappe zwar kernig und sportlich zornig, aber nie krawallig und laut wirkt. Natürlich verfügt auch der neue V10 über die Auspuffklappe, die sich über das Simrad-MFD öffnen lässt, um mit böse grollendem Auspuff-Sound zu posen.

Ich übernehme selbst Ruder und Gashebel und gebe der Monterey Feuer. Linear, mit permanentem und bulligem Druck surft der V10 auf einer Drehmomentwoge durchs Drehzahlband. Dabei ist es nicht ein brachialer und ungestümer Punch, vielmehr ist es die sahnige, lässige Elastizität, die begeistert, und mit der der Verado das mit vier Personen besetzte Runabout in Reisegeschwindigkeits-Bereiche katapultiert, die andere als Topspeed angeben.

Ich kann keine Vergleichsmessungen vornehmen, aber es dürfte feststehen, dass das neue Mercury Aggregat zumindest gefühlt in dieser Leistungsklasse mit Abstand der Motor ist, der die sanfteste und leiseste Laufkultur an den Tag legt. Vibrationen sind nicht spürbar, bei 30 Knoten Reisegeschwindigkeit ist auf der Rückbank in der Plicht eine normale Unterhaltung möglich. Sauber!

SeaRay SLX 260

Komfort und Performance: Der Prototyp der brandneuen SeaRay SLX 260 OB (Foto: C. Schneider)

Ich steige um auf den Prototypen der brandneuen SeaRay SLX 260 – ein Bowrider, der mit einem Verado V10 mit 350 PS bestückt ist. Spannend wie sich hier der SeaRay Powertower, der mittels eines Softtops für Beschattung der Insassen sorgt, auf die Soundkulisse des Verados auswirkt. Hier wird der Schall des Motors im Gegensatz zur offenen Monterey etwas zurückgeworfen und der 350er präsentiert sich zwar ebenfalls akustisch insgesamt angenehm zurückhaltend, aber auch mit einem herrlich garstigen und aggressiven, hellen Knurren, das so typisch ist für einen Zehnzylinder. Entsprechend wütend gibt der Bolide laut, als der Hebel auf den Tisch gelegt wird und auch der neue SeaRay Rumpf zeigen kann, was in ihm steckt. In neun Sekunden schiebt der Bowrider auf 26 Knoten Cruisingspeed, die bei ca. 3800 U/min anliegen. Auch hier liegt der Bereich der ökonomischen Gleitfahrt bei 4000 U/min, mit denen die SeaRay perfekt getrimmt auf ebenem Kiel über den Lake X feuert, während der 350er V10 am Heck böse, aber akustisch nur verhalten knurrt.

Mit Verve über den Lake X an Bord der neuen SeaRay SLX 260 – Im Hintergrund der charakteristische Turm des Mercury Testscenters. (Foto: C. Schneider)

Das Thema Drehmoment und neuer, großer Prop wird mir nochmals richtig bewusst, als ich die SeaRay bei ca. 40 Knoten mit 5500 U/min in eine scharfe Kurve lege. Der Respekt und die erst kurze Erfahrung mit dem neuen Boot gebieten es, vor dem Einlenken eben kurz das Gas herauszunehmen. Doch kaum liegt der Hobel bockstabil auf der Backe und knallt ums Eck, wird mir klar, dass diese Vorsichtsmaßnahme unbegründet war. Also: Gashahn auf und gucken was passiert! Jetzt spielt der V10 in Kombination mit dem grandiosen Rumpf der SeaRay seine wahre Stärke aus: Ohne auch nur den Ansatz von Ventilation oder Kavitation zu zeigen, drückt der neue Revolution X Monster-Propeller mit massivem Punch und einem absolut famosen, körperlich fühlbaren Grip den Zossen aus der Kurve, und schiebt die Fuhre mit Macht aus der Kehre auf die Gerade und auf gut 46 Knoten (ca. 86 km/h) Höchstgeschwindigkeit. Einfach nur scharfl! Es fällt entsprechend schwer, das Lenkrad nach ein paar weiteren Runden wieder abzugeben.

Welle und Beladung beeindrucken den Drehmoment-starken Verado V10 nicht groß (Foto: C. Schneider)

Spannend ist dann der Vergleich zum nächsten Fahrtag auf dem Lake X: Fand der erste Fahrtest mit der SeaRay bei glattem Wasser mit drei Personen an Bord statt, präsentiert uns der See am Folgetag bei scharfem Wind eine unkomfortable Kabbelwelle, die mit bis zu 0,5 Metern Höhe eine anspruchsvolle Rauwasserkulisse aufbaut. Wir sind heute mit sechs Personen an Bord der SeaRay SLX 260 und geben Feuer. Abgesehen davon, dass das Boot mit beeindruckendem Fahrkomfort das Kabbelwasser völlig gelassen pariert, gibt sich auch der V10 von der doppelten Anzahl an Personen an Bord völlig unbeeindruckt. Gefühlt war zumindest kein Unterschied zum Vortag feststellbar und der 350er am Heck lieferte saftigen Schub, linearen Druck und hohes Drehmoment. Auch gemessen war der Unterschied marginal: Lediglich 1,5 Knoten kosteten Welle und zusätzliche Beladung in Sachen Höchstgeschwindigkeit. In Sachen Beschleunigung lag der Unterschied in einem Bereich, der eher den Messtoleranzen zuzuordnen war, als dass hier wirklich belastbare Aussagen getroffen werden können. Geil!

Freeman 47

Alles was geht: Freeman 47 mit 4x Mercury Verado V10-400 (Foto: Mercury Marine)

Am Ende gebe ich mir nochmal die Kante: Die Freeman 47 ist ein mächtiges, typisch amerikanisches Centerkonsolen-Boot, das als Kat auf Doppelrümpfen mit einer Vierfach-V10 Motorisierung prahlt. In Kombination mit der doppelten 24 Zoll Simrad-Instrumentierung am Fahrstand und dem Simrad Navi-Elektronik Komplettpaket, wird der überdimensionierte Angelkahn zum Kampfstern Galactica zur See aufgewertet und Captain Picard würde die Enterprise dafür verschrotten lassen. Auf dem Lake X in den Sümpfen Floridas wirkt das Offshore-Geschoss entsprechend wie ein Alligator im Wohnzimmer-Terrarium, doch sei’s drum: Feuer frei!

Volle Kanne: Mit 64 Knoten (118 km/h) gehts im Tiefflug über den Lake X (Foto: C. Schneider)

Halten wir uns nicht lange mit Kleinigkeiten auf, sondern belassen wir es einfach bei den Superlativen: Mit 64 Knoten Höchstgeschwindigkeit (118 km/h) brannte das mit 1600 PS aus 40 Zylindern und knapp 23 Litern Hubraum bewaffnete, amerikanische Doppelrumpf-Offshore-Monster zwei tiefe Furchen in den sumpfigen Lake X und schoss im Reigen der zur Verfügung stehenden Test-Boote der Brunswick-Gruppe in Punkto Vmax den Vogel ab. Doch selbst in dieser Extrem-Konfiguration blieben Motorengeräusch und Kraftstoffverbrauch in einem im Verhältnis angemessenen Rahmen, und stellten abermals unter Beweis, dass die selbstbewusste Rede des Mercury-Präsidenten anlässlich der Präsentation des Aggregates keine leeren Versprechungen enthielt.

Fazit:

Foto: Mercury Marine

Mit dem neuen Verado V10 rammt Mercury einen mächtigen Pflock in dieser Leistungsklasse im Bereich der Außenborder in die See. In der Kombination von Lärmemission, Drehmoment, Kraftstoffeffizienz und Leistungsgewicht belegt der neue V10 hier definitiv eine Spitzenposition. Dabei ist der Motor ein Muskelprotz, aber im Maßanzug und mit besten Manieren. Mancher V8 wirkt im Vergleich wie ein ungehobelter Hooligan, so linear und gleichzeitig souverän entfaltet der neue Zehn-Zylinder Bolide seine Kraft. Damit dürften gerade Offshore-Boote, die auch in der Welle fahren, noch besser zu kontrollieren und zu fahren sein. Hinzu kommt, dass die elektronische Drehzahlanpassung hier eine perfekte Unterstützung ist, die das Drehmoment-Niveau auf einem gleichbleibenden Level hält. Auch das Gewicht des neuen Versdo V10 ist eine echte Ansage: Bei 316 Kilogramm Trockengewicht (Herstellerangabe) gehts los mit dem leichtesten Modell, was einem Leistungsgewicht von 0,9 (V10-350) bzw. 0,79 (V10-400) kg/PS entspricht. Auch hier setzt der neue Mercury Verado V10 Motor also Maßstäbe. Es ist daher zu erwarten, dass wir die neuen Mercury Verado V10 Außenborder ab der nächsten Saison am Heckspiegel zahlreicher Boote sehen, aber dank ihrer famosen Laufkultur kaum hören werden.

Weitere Infos zum neuen Verado V10 in den kommenden Ausgaben des MotorBoot-Magazins. Im Abo, am Kiosk oder in unserem Shop.

www.mercurymarine.com