Test Boarncruiser 42 Retro Line AC: Reise, Reise…

Tradition verpflichtet – und das nun schon seit annähernd einem halben Jahrhundert. Dieses Motto ist ganz oben angesiedelt in der De Boarnstream’schen Philosophie. 1964 gründete Henk Hokwerda die Werft und seither liefen weit mehr als 1.000 Boarncruiser vom Stapel. Die hier von Claus D. Breitenfeld vorgestellte „42 Retro Line Aft Cabin“ ist das kleinste Modell dieser Serie, flankiert von den Schwesterschiffen „Cabrio“ und „OK-HT“ (Deckssalon, offene Plicht mit Hardtop). Ein großzügiges Reiseschiff par excellence. Wer’s dennoch etwas größer haben möchte, kein Thema, die Werft baut sämtliche Schiffe bis zu einer Länge von 72 Fuß – in Stahl und Aluminium!

Die Boarncruiser-Modelle splitten sich in drei Grund-Produktionslinien: „Retro“, „Classic“ und „New“. Analog dazu basiert das Unternehmen auch auf drei Standbeinen – die Werft, die Marina und Brokerage. Eine gesunde und unabhängig voneinander arbeitende Konstellation, wie Wies Hokwerda, Tochter des Hauses und gleichzeitig Juniorchefin, zu berichten weiß.

Schwerpunkt der imagemäßigen Präsentation nach außen hin ist jedoch fraglos der Schiffsbau, auch wenn die Hafenanlage mit seit der Saison 2013 auf 179 (!) aufgestockten Liegeplätzen ihr Licht wahrlich nicht unter den Scheffel zu stellen braucht. Sie liegt in einem der schönsten Reviere Hollands, im friesischen Irnsum, gleich um die Ecke am Prinses-Margrietkanal. Besonderes Prädikat: Unter anderem ausgezeichnet mit dem Titel „schönste Marina Frieslands“, komfortabel, servicefreundlich und idealer Ausgangspunkt für beschauliche Törns.

Henk Hokwerda hat die Zeichen der Zeit längst erkannt und sich frühzeitig darauf eingestellt. Klasse statt Masse, so einer seiner Grundsätze und Intensionen im Sinne des Kunden. „Die Schiffe werden immer größer, die Eigner verlangen nach immer mehr Komfort und Perfektion, wollen ihren Stil in ‘ihrem‘ Schiff reflektiert sehen. Diesem Verlangen tragen wir Rechnung und lernen dabei auch aus den Wünschen der Auftraggeber. Bei uns bekommt jeder Eigner ’sein‘ Schiff, so einzigartig wie er selbst“. Custom-build ist für De Boarnstream und das 25-köpfige Spezialisten-Team Programm und Selbstverständlichkeit schlechthin. Aktuelle Produktion ca. zehn Schiffe pro Jahr.

Fahreigenschaften

Leichtgewicht war gestern, Stabilität und Qualität die Boarncruiser-Maxime heute – und seit jeher. Testgewicht 21 Tonnen, sich rekrutierend aus Stahl, Interieur und Gebunkertem, verteilt auf knapp 13 Meter Länge über Alles. Das ist in der Tat kein Pappenstiel. Für den einen oder anderen „Frischling“ vielleicht der absolute Horror, allein bei dem Gedanken, diese Masse unter Kontrolle halten zu müssen, wollen, können. Doch ein Blick auf die Agenda der Standard-Ausstattung und die Möglichkeiten der Optionen, sollte entspanntes, unbeschwertes Fahrvergnügen signalisieren.

Nicht unbedingt selten anzutreffen bei dieser Schiffsgröße, die serienmäßige Ausrüstung mit Bug- und Heck-Querstrahlruder. Einem Novum gleich hingegen da schon eher die Tatsache, dass es sich dabei nicht um profane, in der Belastung begrenzte, elektrische Vertreter ihrer Art handelt. De Boarnstream unterstreicht seinen Qualitätslevel mit dem Einbau hydraulischer Exemplare. Aufwändig und teuer, dafür aber Dauereinsatz geeignet und narrensicher. So wird das Manövrieren unter widrigen Umständen, in enge Liegeplatzboxen nicht zum Vabanquespiel sondern zur sicheren Selbstverständlichkeit, Beifall erhaschend vom Stegnachbarn.

Und die Motorisierung? Perkins M225 TI, Leistung Basismotor 165 kW (225 PS), gedrosselt auf 154 kW (209 PS). Völlig ausreichend, denn über die so genannte Rumpfgeschwindigkeit hinaus wird’s ein klassischer Verdränger eh‘ kaum bringen. Und falls doch mit aller Gewalt, dann kommt das dem „Zerreißen von Euros unter der Dusche“ gleich. Die hier ohnehin stärkere Variante gegenüber der Standard-Motorisierung von 110 kW (150 PS) ist gezollt dem Befahren von Fließgewässern. Zwar nicht zutreffend auf das Testrevier, den Prinses-Margrietkanal, und auch von seiner Wassertiefe nicht unbedingt prädestiniert das volle Potential der Retro auszuschöpfen. Dennoch, erste Fahreindrücke lassen darauf schließen, dass sich unser Proband auch in der im zugebilligten CE-Kategorie „B“ (außerhalb von Küstengewässern) durchaus bestens behaupten sollte.

Allein, die rein rechnerisch erreichbare Rumpfgeschwindigkeit (√ aus Wasserlinie x 2,43 kn) von 8,6 Knoten (15,9 km/h) wurde beim Test um 0,6 kn (1,1 km/h) verfehlt. Dazu muss man allerdings wissen, dass sich ein Schiff dieser Größenordnung unter Volllast bei einer Wassertiefe von 1,20 bis 3,50 m unter dem Kiel grundsätzlich „ansaugt“, somit keine Chance hat Tiefwasserqualitäten unter Beweis zu stellen. Wie dem auch sei, die Grundwerte können sich durchaus sehen: Aus ruhender Position wird nach lediglich 15 sec. Marschfahrt von 10 km/h (5,4 kn) bei 1.800 U/min erreicht. Vmax liegt weitere zehn Sekunden später an, 14,8 km/h (8 kn), U/min 2.600. 

Mit den Bug- und Heckstahl-Querruder-Helferlein ein 360°-Manöver zu zelebrieren, kein Problem, das funktioniert „auf dem Teller“. Wozu ein Rumpf jedoch in der Lage ist, zeigen Fahrversuche ohne jegliche Unterstützung. Ergo, volle Kanne voraus, das Ruder hart gelegt, egal, ob über Stb. oder  Bb., mehr als eineinhalb Bootslängen kommen dabei nicht zusammen, dank des bestens abgestimmten Ruderblattes. Leichtgängig in diesem Zusammenhang auch Kurswechsel, basierend auf der hydraulischen Steuerung und vernachlässigbar der Krängungswinkel. Diese „42“ bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Ebenso komfortabel und leichtgängig die Bedienung der elektrischen Schaltung.

Schnell wächst mit zunehmender Fahrdauer das Vertrauen ins Schiff und dessen Fahreigenschaften, untermauert durch die hervorragende Positionierung des Rudergängers mit ungehindertem Rundumblick, der stets am ergonomisch perfekt ausgestatten Steuerstand alles bestens im Griff hat. Auch in Sachen Geräuschentwicklung gibt es nichts zu meckern, denn die 76 dB(A) am Steuerstand sind zu einem erklecklichen Teil Wasser und Wind anzulasten. Kaum wahrnehmbar hingegen die 53 dB(A) bei niedrigster Drehzahl.

Ausstattung  und  Verarbeitung

Wurde noch vor Jahrzehnten alles in Eigenregie erledigt, folgt auch De Boarnstream dem inzwischen vielerorts wirtschaftlichen Erfordernissen Tribut zollenden Trend, die Zusammenarbeit mit spezialisierten Subunternehmern. Dass dies aber kein Nachteil sein muss, davon überzeugt das Testschiff. Stahl, Lackierung, Tischlerei und Polsterarbeiten werden unter permanenter Kontrolle außer Haus gefertigt, die komplette Technik-Installation passiert auf der Werft. Somit bleibt die Qualitätskontrolle voll und ganz unter der Obhut von De Boarnstream.

Ein Bild sagt mehr aus als tausend Worte. Unsere Fotogalerie soll davon nicht ausgenommen sein. Und aufgrund der individuellen Gestaltungsmöglichkeiten wäre es müßig, sich stur an das Layout dieses Prototyps, der Baunummer 1, halten zu wollen. Daher grundsätzlich: Feinster Holzausbau in Kirsche, glattmatt versiegelt, gepflegteste Sanitärbereiche, aufwändige Polsterungen, vorbildliche, modernste Technik in allen Bereichen, sei es Elektronik, Antriebssystem, Navigationsausstattung und Mechanik jedweder Art. Dies gilt auch für das das äußere Erscheinungsbild, die Malerarbeiten, das Flexiteak, die VA- bzw. Niroverarbeitung.

Erwähnenswerte Highlights: Unter anderem der nach zwei Seiten aufzuklappende, drehbare Tisch samt Sofa im Salon, beide elektrisch in der Höhe verstellbar, anzupassen an die Körpergröße des daran Sitzenden. Elektrohydraulisch zu öffnen auch der Motorraum mit beispielhafter Isolierung und Technikfreaks das Herz höher schlagen lassend, ob der vorbildlichen Ausstattung und Zugänglichkeit von Motor, Generator, Umformer, Sicherungen, Pumpen, Filter, Hydraulikanlage und Tanks.

Ein halb gewendelter Niedergang führt an Bb. ins Vorschiff mit V-Kabine und separater Nasszelle. Gleiches gilt nach achtern in die Eignerkabine. Davor quer zur Fahrrichtung unterhalb der Abschottung zum Backsdeck die Pantry. Eine sowohl ungewöhnliche, wie auch pfiffige Lösung. Der Flachbild-TV im Salon im Sideboard versenkbar, ein zweiter in der Eignerkabine. Die Bordfrau/mann wird das zentrale Staubsaugersystem begrüßen, nur den Schlauch an den jeweiligen Positionen einstecken und los geht’s.

Sechs Stufen backbords hinauf, das geräumige Achterdeck breitet sich aus. Der Platz des Rudergängers dürfte einer der begehrtesten an Bord sein, vermittelt er doch  schiffiges Feeling in Reinkultur an einem modern gestalteten, nicht überladenem Steuerstand, der dennoch alles an Überwachungs- und Funktionstechnik bietet, was derzeit en vogue ist. Design-Tüpfelchen aufs „i“, der Carbonlook.

Achterlicher Abschluss die integrierte Badeplattform, von zwei Seiten über feste Treppen erreichbar, darüber aufnahmebereit die Davits. Breite Gangbords führen aufs Vorschiff, vorbei am elektrisch zu legenden Geräteträger (Option). Fußfreundlich und pflegeleicht, das sauberst aufgebrachte Flexiteak, griffig und sicher die hüfthohe Reling mit oberem, ovalen Handlauf.

Mein Fazit:

Wäre der Chronist ein potentieller Eigner, spontan fiele ihm kaum ein, etwas am Gesamterscheinungsbild dieses Boarncruisers ändern zu wollen. Ein absolut durchdachtes Schiff modernsten Layouts, vor allem unter Deck. Perfekt die Stauraumnutzung, solideste Verarbeitung, herausragende Fahreigenschaften. Ein Prototyp, dem sicherlich noch viele folgen werden.
Claus D. Breitenfeld
De Boarnstream Boarncruiser 42 Retro Line AC
Konstruktion/DesignDe Boarnstream
HerstellerlandNiederlande
Motorisierung Test KW (PS):Perkins M225 TI / 165 (225)
AntriebsartWelle
Preis Standard/Testschiff:ab 550000,-€
  • 12,85m
  • 4,30m
  • 1,15m
  • 2,45- 2,95m
  • 110-165KW / 150-225PS
  • Stahl
  • 800l
  • 600l
  • Testschiff ca. 21000kg
  • B
  • 6-10
  • 2 +1
  • 4 +2