Test: Volvo Penta Assisted Docking

Volvo Pentas und Garmins Kombination zweier unabhängiger Systeme - Volvo Penta Assisted Docking und Garmin Surround View Camera System, übernehmen diese Aufgabe jetzt virtuell und digital. Das soll das Anlegen auch unter schwierigen Bedingungen vereinfachen und es dem Skipper erleichtern, die Kontrolle zu behalten. Die MotorBootonline_Redaktion hatte die Möglichkeit, das System auf dem Yachting-Festival in Cannes live zu erproben.

Stress-Situation Anlegen

Eine Prestige 460 Fly diente als Demo-Boot für das neue Volvo Penta Assisted Docking System beim Yachtfestival in Cannes an der Côte d’Azur.

Der Wind drückt, der Strom schiebt, der Raum zum Manövrieren ist eng und der Blutdruck des Skippers auf dem Niveau des Öldrucks der Antriebsaggregate bei Volllast. Jegliche Beteuerungen des Bootsverkäufers auf der Messe, ob der kinderleichten Manövrierbarkeit des Traumschiffs werden ad absurdum geführt, wenn die stattliche „Segelfläche“ der Bordwände in Verbindung mit dem minimalen Lateralplan eines Gleiters in der Boxengasse auf Seitenwind trifft und der Zossen auf die Drift geht. Versuche, diese Situation mit viel PS oder dem Malträtieren der Querstrahlruder bis zur Weißglut der Verkabelung einzufangen, sind ab einem gewissen Punkt zum Scheitern verurteilt. Nicht nur der Einsteiger schwitzt jetzt Blut und Wasser, auch der Puls des gestandenen Skippers verlässt hier die Komfortzone.

Hilfe durch Technik

Da klingt das Motto des „Easy boatings“, wie es sich der schwedische Antriebs- und Motoren Hersteller Volvo-Penta auf die Fahne schreibt, wie eine Erlösung. Und tatsächlich: Seit es – nicht nur bei den Schweden – die Möglichkeit gibt, seine Yacht per Joystick in die Box zu zirkeln, ist manches Manöver, das in früheren Jahren im Nachgang den Anruf beim Versicherer erforderlich machte, quasi zur Fingerübung geworden, die auch ein Einsteiger mit etwas Routine beherrschen kann. Das Strom und Wind nach wie vor auch die eleganteste Anfahrt an den Liegeplatz verhageln können, kann aber auch die Steuerung mit dem Joystick nicht verhindern. Doch die Vernetzung der Systeme geht weiter und die nächste Stufe soll Abhilfe bringen.

Erprobte Partnerschaft

Volvo Penta und Garmin haben in den vergangenen Jahren gemeinsam eine Reihe von Funktionen entwickelt, die das Bootfahren vereinfachen sollen. Die neue Kombination aus dem Volvo Penta Assisted Docking – und dem Garmin Surround View Camera System soll es jetzt dem Skipper ermöglichen, auch bei schwierigen Anlegemanövern die Übersicht und die Kontrolle über das Boot zu behalten. Während ihn das Garmin-Kamerasystem unterstützen soll, zu jeder Zeit die aktuelle Position des Bootes im Blick zu behalten, soll das Volvo-Penta Assisted Docking System die Einflüsse von Wind und Strom kompensieren und es so ermöglichen, die Yacht zielgenau und exakt per Joystick auf den Punkt dorthin zu manövrieren, wohin es gewünscht wird.

Die Theorie

Das Garmin Surround View Camera System ist ein Produkt für den breiten Einsatz auf dem Marinemarkt und eignet sich laut Hersteller für eine Vielzahl von Booten bis zu 100 Fuß. Dieses System ist eine Kombination aus 360-Grad-Echtzeitansichten. Sechs Kameras, die rundherum am Boot installiert sind, ermöglichen es dem Skipper, unterschiedliche Ansichten an allen Seiten des Bootes und eine zusätzliche, über eine Software generierte, Vogelperspektive auf einem Garmin Multifunktionsdisplay am Steuerstand aufzurufen und so direkt am Steuerstand ein Kamerabild vor sich zu haben, dass ihm exakt die Position des Bootes in Relation zum unmittelbaren Umfeld anzeigt.

Die Garmin Kameras integrieren sich perfekt und fallen optisch kaum auf.

Dieses Kamerasystem ist jetzt auch als neue Funktion im Volvo Penta Glass Cockpit System – allerdings nur für Volvo Penta Inboard Performance System (IPS)-Installationen – verfügbar. Es soll dabei die Dynamik von Wind und Strömung beim Manövrieren auf engem Raum kompensieren und so ein sicheres und einfaches Anlegen des Bootes auch unter schwierigen Bedingungen ermöglichen. Ein weiteres Merkmal ist die Möglichkeit, die Position des Bootes über ein GPS- gestütztes Dynamic System zu halten. Das gab es auch bereits vorher, aber hier macht es doppelt Sinn. So hat der Benutzer Zeit, kann innehalten und die Position des Bootes im Garmin Surround View auf dem Bildschirm des Glascockpits sehen und ggf. Anpassungen auf der Grundlage der Kameraansicht vornehmen.

Die Praxis

Klingt ja alles prima, aber wie bewährt sich das System in der Praxis? Die Verhältnisse an dem Außenanleger des Yachthafens in Cannes sind jedenfalls nicht anspruchslos. Ein frischer Wind drückt von der Backbordseite seitwärts, kabbeliger Schwell der zahlreichen ein- und auslaufenden Boote aus dem belebten Yachthafen während des Cannes Yachtingfestivals wühlen das Wasser auf. Auf beiden Seiten der Prestige 460 Fly, die mit dem System ausgerüstet wurde, liegen Yachten und Boote, die ebenfalls regelmäßig zu Probefahrten ablegen.

Der Home-Bildschirm zeigt die Karte und die Parameter des Einstellung wie die Genauigkeit des GPS-Signals, die Verwendete Schubleistung in Prozent und weitere Hinweise.

Ich nehme am Innenfahrstand der Prestige Platz und Anders Thorin, Produktmanager Electronics bei Volvo Penta und Pontus Fernström, EMEA Marine Segment Director von Garmin,  erklären mir das System. Im Volvo Penta Glass Cockpit System der Yacht, kann der Skipper die Garmin Surround View über den Joystick aufrufen und steuern. Wird beim Assisted Docking auf den Volvo Penta Joystick gedrückt, werden die Bildschirme automatisch aktualisiert. Zusätzlich kann ein vom Benutzer konfigurierbarer, visueller Fender erzeugt werden, der dem Skipper als grüne Umrandung um das Boot am Bildschirm angezeigt wird. Er ist in der Größe anpassbar und die Yacht hält darüber den definierten Abstand zu anderen Schiffen, Stegen, Pfählen der Boxengasse u.ä..  Über gelbe Abstandsmarkierungen ähnlich wie bei einer Rückfahrkamera im Auto, ist zudem immer ersichtlich, wie weit die Yacht z.B. vom Steg oder dem Nachbarlieger noch entfernt ist.

Der „Visual Bumper“ – siehe grüne Umrandung ums Schiff – lässt sich in der Größe zwischen einem und sechs Metern anpassen.
Abstandslinien definieren den Abstand zu Objekten im nahen Umfeld. Die Vogelperspektive zeigt die Position der Yacht in der Draufsicht.

Die Crew wirft die Leinen los und ich bewege den Joystick sanft nach vorne und halte ihn in dieser Position. Die Yacht folgt willig dem Befehl, was erstmal nicht spektakulär erscheint. Tatsache ist aber, dass sich das Boot gemäß der per Joystick festgelegten Fahrtrichtung exakt ausschließlich in der Voraus-Fahrtrichtung bewegt. Der Einfluss des seitlich drückenden Windes und des Schwells wird vollständig kompensiert, die Yacht beginnt selbst in langsamer Fahrstufe nicht zu vertreiben. Zugegeben: Ich brauchte ein paar Minuten, um Vertrauen ins System zu fassen. Dann aber erschließt sich die Bedienung und der Nutzen intuitiv, und es macht Spaß und fasziniert. Auf Ansage Thorins bewege ich den Joystick nach Steuerbord seitlich und auf dem Monitor wechselt die Kameraansicht zu dieser Seite. Gut sichtbar erscheint das Nachbarboot, die Abstandslinien zeigen in einem fünf Meter Radius genau an, wie weit ich noch entfernt bin, das Boot bewegt sich exakt seitwärts. Kommt ein Hindernis an den Bereich des virtuellen Fenders, stoppt das Boot. Die auf- und abschwellenden, brummelnden Geräusche aus dem Motorraum, signalisieren, dass die Volvo-Penta Diesel und die IPS-Antriebe mit feinabgestimmter Drehzahl, Stellung der Antriebe, sowie mit Umsteuern dafür sorgen, dass die Yacht exakt auf Position bleibt. Über die zuschaltbare Vogelperspektive ist es jederzeit möglich, zu überblicken, wie die Yacht im Verhältnis zum direkten Umfeld positioniert ist. Die Möglichkeit, das Schiff in einer unübersichtlichen Situation exakt auf Position zu halten, und quasi innezuhalten, um sich einen Überblick zu verschaffen und die nächsten Manöver zu planen oder sich mit der Crew abzustimmen, ist ein nützliches Feature, da es den Druck aus der Situation nimmt.

Hier wird die Sich nach achtern und seitlich achtern neben der Vogelperspektive angezeigt. Die Übersicht (Pfeil) gibt Auskunft über die angewählte Kameraansicht.

Mit sanft nach backbord gedrücktem Joystick lasse ich die Yacht seitlich auf eine Position fahren, die vor dem anzusteuernden Liegeplatz liegt. Ein kontinuierliches Halten des Joystick nach achtern lässt die Yacht rückwärtsfahren, ein langer Druckimpuls auf den Joystick nach rückwärts lässt die Yacht nur um einen Meter nach achtern verholen. Kurze Druckimpulse erlauben es, sich in 0,3 Meter Schritten sanft dem Steg zu nähern. Kleine Anpassungen seitwärts ermöglichen es einfach, das Boot zielgenau an den Liegeplatz zu manövrieren. Wind- und Strom Einflüsse werden zuverlässig vom System kompensiert und durch Steuerung der Antriebe und Drehzahländerungen der Motoren korrigiert. Die Yacht bewegt sich so immer genau in die Richtung, in die der Joystick-Fahrbefehl geht, ohne dass Wind- oder Stromdrift ihren Einfluss geltend machen. Lediglich die spiegelverkehrte Ansicht des rückwärtigen Bildes muss beim Ansteuern des Liegeplatzes mit dem Heck berücksichtigt werden, ein Aspekt, der aber in der Serie noch geändert werden soll, wie mir Anders Thorin erklärt. Bald liegt die Yacht genau vor dem Steg, hält über den virtuellen Fender den voreingestellten Abstand ein und die Crew kann die Festmacherleinen belegen.

Im November 2021 wurden beide Systeme mit dem renommierten DAME-Award auf der weltgrößten Messe für Bootszubehör in Amsterdam ausgezeichnet.

(v.li.:) Pontus Fernstrom, EMEA Marine Segment Direktor bei Garmin und Anders Thorin, Produktmanager Elektronik bei Volvo-Penta erproben die neue leistungsstarke Kombination der Systeme. (Foto: Volvo Penta / Garmin)

Mein Fazit:

Zwar können derartige technische Systeme die gute Seemannschaft nicht ersetzen, sie erleichtern aber die Bedienung und den Zugang zur manchmal komplexen Materie des Boot Fahrens. Das Volvo Penta Assisted Docking System in Verbindung mit dem Garmin Surround View Camera System überzeugt in erster Linie deshalb, weil es dem Skipper nicht die Kontrolle über das Manövrieren des Bootes abnimmt und das Anlegen automatisiert, sondern ihm dabei – wie der Name es schon sagt – assistiert. Der Skipper bestimmt die Richtung des Schiffes und den Ablauf der Manöver, das System kompensiert Störeinflüsse und unterstützt durch intelligente Features. Das funktionierte in unserem Praxistest zuverlässig, mit beeindruckender Präzision, intuitiver Bedienung und machte nicht zuletzt großen Spaß.

Christian Schneider
Testbedingungen
RevierMittelmeer vor Cannes
Wind (Beaufort)5
Strom (Knoten)1-2kn
Wellenhöhe0,2m
Personen an Bord4
Prestige 460 FLy
Motorisierung Test KW (PS):2x Volvo Penta D6-380 / je 280 (je 380)
AntriebsartVolvo Penta IPS
  • 14,29m
  • 4,3m
  • 1.05m
  • 5,35m
  • 2x 280KW / 2 x 380PS
  • GFK
  • 1240l
  • 586l
  • 12601kg
  • B/C
  • 10/12